Chronik - Vorgeschichte

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Vorgeschichte

Ohne Berücksichtigung der historischen Umstände und Gegebenheiten lässt sich der Ursprung der SG 1919 Ueberau nicht erklären. Es ist tatsächlich so, dass hier das lokale Ereignis einen weltgeschichtlichen Hintergrund hat: Die Arbeiterbewegung und die Arbeitersportbewegung.Weiterlesen

Blickt man auf die Anfänge des Arbeitersports, muss man sich vor allem die Situation der Arbeiter im 19. Jahrhundert ansehen. Die Arbeitszeiten uferten aus, es herrschte Unterbezahlung, Kinder und Frauen arbeiteten oft nur für Hungerlöhne um ihrer Familie das Überleben zu garantieren und die Arbeit selbst wurde immer härter und intensiver. So herrschte im Jahr 1825 in Bergbau, Industrie und Handel eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 82 Stunden. Das entsprach 14 Stunden Arbeit pro Tag. Diese fiel zwar bis 1867 auf 12-13 Stunden täglich, Freizeit blieb für Arbeiter aber dennoch nicht. Auch das verdiente Geld reichte gerade einmal für das Nötigste. Nimmt man hinzu, dass bis 1848 Vereinigungsmöglichkeiten gesetzlich nicht gegeben waren, kommt man schnell zu dem Schluss, dass es für Arbeiter keinerlei Möglichkeiten für sportliche Aktivitäten gab. Der Sport war dem Bürgertum vorbehalten.

Mit der Industrialisierung wuchsen auch die Anforderungen an die Arbeiter. Nun war es nötig Maschinen zu bedienen. Hiermit wurde die Arbeit natürlich sehr viel produktiver, allerdings auch geistig anspruchsvoller. Dadurch wurde, auf der Seite der Arbeiter, auch erstmals der Ruf nach einer besseren Bildung und mehr Pausen laut. Um die Arbeiterschaft gefügiger zu machen, führte Bismarck am Ende des 19. Jahrhunderts Sozialversicherungen ein. Diese bekämpften aber nur die Auswirkungen der harten Arbeit, nicht deren Ursachen. So war es die Arbeiterklasse selbst, die sich durch Streiks, Lohnkämpfe aber auch auf parlamentarischem Wege Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen erkämpfen konnte. Die Vorraussetzungen für mehr Freizeit und damit auch der Teilnahme am Sport waren somit geschaffen.

Anfangs nahmen Arbeiter am bürgerlichen Sport teil. Da den Sportlern die aus der Arbeiterbewegung stammten die in der Deutschen Turnerschaft zusammengeschlossenen Vereine im Kaiserreich zu nationalistisch ausgerichtet waren, wuchs schnell der Wunsch nach einer eigenen Organisation.
Ein weiterer Grund für den Arbeitersport, sich in eigenen Organisationen zusammenzuschließen, war die Abschottung bürgerlicher Verbände und Vereine gegen Arbeiter zur Zeit des Kaiserreichs. Ein krasses Beispiel ist der Amateurparagraph des Deutschen Ruderverbandes, den dieser bei seiner Gründung am 18. März 1883 annahm: „Amateur ist jeder, der das Rudern nur aus Liebhaberei mit eigenen Mitteln betreibt oder betrieben hat und dabei keinerlei Vermögensvorteile in Aussicht hat oder hatte, weder als Arbeiter durch seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient, noch in irgendeiner Weise beim Bootsbau beschäftigt ist.“

Aufgrund dieser Umstände wurde am 02.Mai 1893 in Gera der Arbeiter Turnerbund (ATB) gegründet. Ganz in der Tradition der Zeit, war dieser in seinem Wirken natürlich nicht nur auf den Sport beschränkt. Er war auch immer ein Apparat der Arbeiter im Kampf für Sozialismus und den acht Stunden Tag. Neben der SPD und den Gewerkschaften war der ATB die dritte große politische Organisation der Arbeiterbewegung. Der Sport sollte, entgegen dem bürgerlichen Sport, nicht der militärischen Erziehung, sondern der Verständigung unter den Völkern dienen. In der ersten Ausgabe der Arbeiter-Turnerzeitung des ATB hieß es über seine Ziele:
„Die freiheitlich gesinnten Turner werden eifrig mitarbeiten, ein altes verfaultes System mit Stumpf und Stiel auszurotten, alte Ruinen niederzureißen, damit neues Leben aus ihnen erblühe. Unter diesen neuerrichteten Gebäuden erst werden wir ausrufen können: Wir haben Friede, Freiheit, Recht. Keiner ist des andern Knecht.“

Darüber hinaus führte die wirtschaftliche Situation um den Ersten Weltkrieg dazu, dass jugendliche Arbeiter in die industriellen Zentren zogen, um dort Arbeit zu finden. Sie machten so Erfahrungen mit der revolutionären Arbeiterbewegung und erlebten das Scheitern der Deutschen Novemberrevolution 1918/19.

Wie der Beginn der Arbeiterbewegung in Ueberau aussah ist leider nicht exakt rekonstruierbar. Ein erstes Dokument, das auf die Entstehung der Ueberauer Arbeiterbewegung hinweist, ist ein Schreiben an den „Großherzoglichen Bürgermeister in Ueberau“, in dem eine von dem Buchdrucker Karl Ulrich aus Offenbach einberufene Versammlung auf der Grundlage des Sozialistengesetzes im Jahr 1884 verboten wurde.

Einer gewissen Bedeutung soll in diesem Zusammenhang der Belegschaft der Frohmann Granitwerke in Reinheim zukommen. Die bis zu 100 Arbeiter stammten u.a. aus dem Bayerischen Wald, aber auch aus Reinheim und Ueberau. Viele der „Gastarbeiter“ ließen sich in Reinheim und Ueberau nieder und wurden Mitglieder der SPD. Fast die gesamt Belegschaft soll gewerkschaftlich organisiert gewesen sein. Einzelne wurden nach dem Ersten Weltkrieg regionale Mitbegründer der USPD und später der KPD.